Knapp sechs Monate lag die Auftaktveranstaltung zurück, als am 12.05.2023 in einer finalen Podiumsdiskussion die Ergebnisse des Projekts „Politik und Recht erleben – Zukunft mitgestalten“ vorgestellt wurden. Im Alfred-Hessel-Saal der Paulinerkirche konnte so den Antworten auf die Frage, wie Bürger*innenbeteiligung bei der Klimawende ausgestaltet werden kann, noch einmal abschließend nachgekommen werden. Die Diskussionsgrundlage bot hierbei das entstandene Impulspapier, das die Resultate der Simulationen, der Gespräche mit Expert*innen und vielfältiger Diskussionen im vergangenen halben Jahr abbildet.

Trotz einer kurzfristigen Absage der Bundestagsabgeordneten Lisa Badum war das Podium voll besetzt: Dinah Epperlein, Leiterin des Referats für nachhaltige Stadtentwicklung in Göttingen, und die Sozialwissenschaftlerin Julia Zilles, die ebenfalls den gesellschaftswissenschaftlichen Forschungsbereich des Energieforschungszentrums Niedersachsen koordiniert, standen den Teilnehmer*innen und dem Publikum mit ihrer Expertise zur Seite. In wechselnden Zweier-Teams stellten einige der Pojektteilnehmer*innen die im Projektverlauf gesammelten Ideen und Vorschläge in einzelnen Teilbereichen vor, die im Anschluss debattiert wurden. Moderiert wurde die Veranstaltung von Frau Prof. Angela Schwerdtfeger und Herrn Prof. Simon Fink.

Universitätspräsident Herr Prof. Metin Tolan sprach in seinem einleitenden Grußwort von einem „zeitgemäßen Projekt“, das für Verständnis werbe. Akzeptanz könne oftmals nur durch vielschichtige Entscheidungsprozesse erzielt werden, die wiederum mehr Zeit in Anspruch nehmen. Tolan hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Rechtsstaates hervor, der die Verlässlichkeit auf Gesetze und eine ausgewogene Urteilsfindung biete. Bereits zu Beginn zeige sich, dass die Einbindung von Bürger*innen in politische Entscheidungsprozesse im Allgemeinen ein komplexes Unterfangen darstelle. Hierfür müssen viele verschiedene Disziplinen zusammenwirken, so Tolan.

„Es ist wirklich schwierig, Menschen zur Beteiligung zu bringen.“, erklärte Frau Epperlein in ihrem Eingangsstatement und berichtet dabei von der Erfahrung der Stadt Göttingen in vergangenen Projekten. Häufig entstehe das Gefühl der Distanz oder der Eindruck, nur unzureichend informiert zu sein. Eine zentrale Frage sei in diesem Kontext, wie eine breite Ansprache und eine sozialinklusive Beteiligung gelingen können, wie Frau Zilles beschrieb.

Die Projektteilnehmenden auf dem Podium stellten zunächst dar, dass es auf die Formate, die Art und den Umfang von Information ankomme, um eine Grundlage für Beteiligung zu schaffen. Als Positivbeispiel wurden die Informationsangebote des Robert-Koch-Institutes während der Corona-Pandemie benannt. Ein grundsätzliches Problem sei, wie die Expertinnen anmerkten, dass die verschiedenen Zielgruppen unterschiedliche Informationskanäle nutzen. „Informationen werden sehr verstreut aufgeschnappt“, so Frau Epperlein. Die Zeitung reiche heutzutage nicht mehr aus, um insbesondere auch die jüngere Generation zu erreichen. Hier sei Kreativität gefragt: Eine möglichst breitflächige Informationsbereitstellung sei nötig, wie Frau Zilles erläuterte. Auch staatliche Gremien, die mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet seien, würden sich eignen. Das Podium zeigte sich hierbei darüber einig, dass sich ein zentraler Informationsakteur durch ein hohes Maß an Objektivität auszeichnen solle. Frau Zilles hob allerdings hervor, dass die Herausforderung nicht damit ende, dass die Informationen abrufbar seien. Auch der Transfer in die Gesellschaft müsse gelingen. Hiermit befassten sich auch die folgenden Teilnehmenden-Teams. So brachten sie den Vorschlag ein, zufällig ausgewählte Bürger*innen direkt zu adressieren. Frau Zilles bestätigte, dass sich diese Methode jedenfalls besser eigne als die Verwendung allgemeiner Aushänge oder Aufrufe. „Direkte Adressierung ist aber kein Selbstläufer. Die zentrale Ressource für Engagement ist Zeit.“, so Zilles. Die Teilnehmenden sahen sich im Verlauf des Projektes auch immer wieder mit der Ressourcen-Frage konfrontiert. Beteiligungsformaten mangle es häufig an einer notwendigen Repräsentativität, weil vielen Bürger*innen unter anderem die zeitlichen oder finanziellen Mittel fehlen. Frau Zilles verwies in diesem Rahmen auf die Möglichkeiten, Online-Tools zu entwickeln oder Menschen über kommunale Veranstaltungen zusammenzubringen. Entscheidend seien zudem die Transparenz des Beteiligungsprozesses, die Kommunikation mit den Bürger*innen und die Identifikation mit den Ergebnissen, betonten die beiden Expertinnen. Frau Zilles wies in diesem Zusammenhang mit dem Schlagwort „Pseudopartizipation“ darauf, dass sich insbesondere Beteiligungsformate, bei denen reale Einflussmöglichkeiten nur simuliert werden, nicht eignen würden. Es müsse stattdessen bereits zu Beginn offengelegt werden, was die Bürger*innen durch ihre Partizipation erreichen können und wie mit den Ergebnissen umgegangen werde. Nur so können Beteiligungsformate politische Prozesse legitimieren. Auch die Teilnehmer*innen machten deutlich, dass sichtbare Effekte der Beteiligung für sie essenziell seien. Wie die Expertinnen in diesem Zusammenhang hervorhoben, sei Beteiligung aber grundsätzlich nie wirkungslos. Auch zunächst ungewünschte Reaktionen, wie die Bildung einer Gegenbewegung oder Protestgruppe, können als Form der Beteiligung verstanden werden und inhaltlich im politischen Prozess diskutiert werden, so Zilles. Ebenso sei die Wichtigkeit gesetzlicher Rahmenbedingungen im Kontext der Bürger*innenbeteiligung nicht zu unterschätzen. Zwar bestehe der Wunsch nach Vereinfachung, jedoch diene die Komplexität der Gesetze auch der Einbindung vieler, teils widerstreitender Interessen, wie Frau Prof. Schwerdtfeger schließlich einordnete.

Mit der Öffnung des Podiums für Zuschauer*innenfragen bestätigten sich viele der diskutierten Punkte anhand geschilderter praktischer Erfahrungen des Publikums. Deutlich wurde erneut, dass sich die Erwartungen der Teilnehmenden nicht immer mit der tatsächlichen Ausgestaltung vergangener Beteiligungsformate deckten. Während der Veranstaltung zeichnete sich ab, dass es für die Frage nach gelungener Beteiligung in der Klimawende keine einfachen Antworten gibt. Der Weg zur Klimaneutralität sei insgesamt eine „gesamtgesellschaftliche Mega-Aufgabe“, so Zilles. Das Impulspapier zeige viele Baustellen auf, die nun von der Forschung bearbeitet werden müssen. Dabei beginnt sich das Zeitfenster für effektives Handeln in Bezug auf die Klimawende jedoch zu schließen, wie Frau Epperlein anmerkt: „Können wir Beteiligung, ein miteinander Entscheiden, lernen, ehe es zu spät ist?“. Aus der Abschlussveranstaltung ergab sich, dass dies wohl durch die nötige Kreativität, eine weitläufige interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie nicht zuletzt Verständnis, Transparenz und Akzeptanz gelingen könnte.

Für alle Interessierten steht die Aufzeichnung der Live-Übertragung auf YouTube weiterhin zur Verfügung: https://www.youtube.com/watch?v=CwQm4CrU_sA

Hier geht es außerdem zum Impulspapier: https://politikundrechterleben.uni-goettingen.de/wordpress/wp-content/uploads/2023/05/Impulspapier-Politik-und-Recht-erleben.pdf

Einen filmischen Einblick in unser Projekt gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=b_ZsOAEowIY