Am 20. Januar wurde in der Göttinger Paulinerkirche vor rund 80 Zuschauerinnen und Zuschauern vor Ort und weiterem zugeschalteten Online-Publikum über die großen Fragen rund um die Klimawende diskutiert. Zu Gast waren Stefanie Hiesinger (EU-Kommission), Dr. Lutz Mehlhorn (Niedersächsischer Landkreistag) und Helena Marschall (Fridays for Future). Moderiert wurde die Veranstaltung von Frau Prof. Dr. Angela Schwerdtfeger und Herrn Prof. Dr. Simon Fink.

„Der Klimawandel ist an sich die größte Herausforderung unserer Zeit. Man muss es so deutlich sagen; es geht um unser Überleben.“, erklärte Frau Hiesinger bereits zu Beginn ihres Eingangsstatements. Nachdem der Ernst der Lage hervorgehoben wurde – hinter dem sich die drei Diskutierenden vereinten – zeichneten sich schnell zentrale Bestandteile der folgenden Debatte ab: Das Zusammenspiel verschiedener politischer Ebenen sowie die Rolle der Zivilgesellschaft. Hiesinger betonte, dass die Europäische Union einen entsprechenden Rahmen setze, um für einheitliche Standards zu sorgen. Dies sei zum Beispiel durch das Europäische Klimaschutzgesetz gelungen, das bis 2050 verbindlich Klimaneutralität vorschreibe. Auf kommunaler Ebene solle wiederum das, was in der EU auf Bundes- oder Länderebene entschieden wird, umgesetzt werden – und das betreffe die Menschen direkt vor Ort, wie Herr Mehlhorn deutlich machte. Frau Marshall beschrieb schließlich, dass es die Zivilgesellschaft sei, die nachhakt, Druck aufbaut und Veränderungen in der Politik einfordert. Insbesondere für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels müsse das Vorgehen auf allen Ebenen ambitionierter werden. Auf Missstände müssen aber auch die Kommunen aufmerksam machen. Zwar wurden Klimaschutzziele bereits auf höherer Ebene beschrieben, aber die Umsetzung scheint weniger durchdacht. Es fehle vor allem an finanziellen Mitteln, aber auch rechtlichen Vorgaben, wie Herr Mehlhorn kritisierte: „Länder und Kommunen müssen hinreichend ausgestattet werden, um auch vollziehen zu können.“. Während Frau Hiesinger durch ihre Schilderungen zum Emissionshandel und dem Green Deal ein Bild umfangreicher Ansätze auf europäischer Ebene zeichnete, mangele es auf kommunaler Ebene an konkreten Bestimmungen. Was es jedoch festzuhalten gelte: Es sei viel in Bewegung. „Es passiert im Moment mehr, als wir uns jemals vorstellen hätten können.“, so Frau Marshall. Aber auch genug? Darüber zeigten sich zumindest Frau Hiesinger und Frau Marshall uneinig. Die zuletzt beschlossenen Instrumente der EU seien mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel, so Frau Hiesinger. Es wurde sich jedoch gegen den „steilsten Weg nach unten“ entschieden, um die gesamte Gesellschaft mitnehmen zu können. Zwar laste Zeitdruck auf allen Klimaschutzprojekten, aber die Zeit, um einen gerechten Wandel zu schaffen, müsse sich genommen werden.

Mit Öffnung der Diskussion wird deutlich: Das Publikum leistete den zuvor beschriebenen Auftrag der Zivilgesellschaft und stellte kritische Nachfragen. Insbesondere rückten die beteiligten Anwesenden die Klimawende in einen globalen Kontext. Aus dem Publikum kam der Hinweis, dass es nicht ausreiche, dass 1,5-Grad-Ziel in Europa einzuhalten, während andere Länder auf der Welt wachsen und ihre Treibhausgasemissionen steigen. Darüber hinaus wurde ebenfalls Deutschlands Rolle im internationalen Kontext angesprochen. Welche Hilfestellungen können Industrienationen bieten? Frau Hiesinger erklärte, dass das Wachstum, beispielsweise auf dem afrikanischen Kontinent, nicht auf fossilen Energieträgern basieren müsse. Vielmehr könne durch Kooperationen auch im Ausland der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. Schließlich dominierten die Bedeutung und Einordnung der Begriffe „Wachstum“ und „Verzicht“ die Diskussion. Aus dem Publikum drängte sich die Frage auf, womit die Bevölkerung in Zukunft konfrontiert werden wird. Dabei stellte sich ein grundsätzliches Definitionsproblem: Was ist unter „Verzicht“ zu verstehen? Frau Marshall wies darauf hin, dass es durchaus auch Chancen in der Krise gebe, durch „Verzicht“ als Bevölkerung zu profitieren und stellte ihre Ideen von autofreien Innenstädten und Fassadenbegrünung vor. Auch ein „Verzicht“ auf Tierleid sei etwas Positives. Frau Hiesinger erklärte ebenfalls, dass es sinnvoller sei, den Menschen zu zeigen, wie sie Teil der Lösung werden können, anstatt durch die Konfrontation mit Einschränkungen womöglich den Zuspruch zu verlieren. Wachstum, Wohlstand und Klimaschutz stünden sich nicht diametral gegenüber, es gehe um Wachstum innerhalb ökologischer Grenzen. Dieser Punkt vermochte das Publikum aber nur unzureichend zu überzeugen. Herr Mehlhorn betonte schließlich, dass es aber grundsätzlich notwendig sei, die „Mehr und größer ist besser“-Mentalität hinter sich zu lassen und den Verbrauch einzuschränken. Es komme nicht maßgeblich auf den Parameter „Wachstum“ an, sondern vor allem auf den tatsächlichen Ressourcenverbrauch. Zum Abschluss machten die Gäste erneut deutlich, dass es grundsätzlichen Verbesserungsbedarf gebe. Insbesondere auf Bundesebene müssen laut Herrn Mehlhorn Zielkonflikte im Bereich Klimaschutz gelöst werden, um auf unteren Ebenen die Umsetzung zu ermöglichen. Allgemein brauche es, wie auch Frau Marschall betonte, eine starke Zivilgesellschaft, die jeden Tag am Wandel arbeitet: „Durch politischen Willen entsteht auch politischer Druck.“. Dabei beginne effektiver Klimaschutz auf kommunaler Ebene, wofür es Aufklärung und guter Wissenschaftskommunikation bedarf, um die Gesellschaft mitzunehmen, so Herr Mehlhorn.

 

Auch wenn bislang nicht sicher ist, ob die Klimawende global gelinge, sei es unerlässlich, weiterhin daran zu arbeiten, so Frau Hiesinger. An der Überzeugung und der notwendigen Entschlossenheit, um eine ausreichende Veränderung zu erreichen, schien es allerdings weder im Publikum noch auf dem Podium zu mangeln. Vielmehr bleibt abzuwarten, welche Effekte geplante Handlungsschritte derzeit erzielen und welche Anpassungen, Vorschläge und Ideen noch folgen. Dabei ist das „Abwarten“ aber deutlich aktiver zu gestalten, als es der Wortlaut vermitteln dürfte. Denn aus der Diskussion ging deutlich hervor, dass für die Umsetzung der Klimaziele jede Ebene gefordert ist und auch Verantwortung trägt: Von internationaler Kooperation, über die EU- und Bundesebene, bis hin zu den Kommunen und schließlich jeder einzelnen Person in der Zivilgesellschaft.

 

Für alle Interessierten steht die Aufzeichnung der Live-Übertragung auf YouTube weiterhin zur Verfügung: https://www.youtube.com/watch?v=erWYGzZJxMw.