Einen Monat nach der EU-Simulation fand am 17.03. und 18.03.2023 der Moot Court, eine simulierte Gerichtsverhandlung, statt. Die Teilnehmenden verhandelten in diesem Rahmen einen fiktiven Fall vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Trotz der frei erfundenen Ausgangslage rund um die Errichtung einer Windenergieanlage nahe Bovenden, lagen dem Sachverhalt drei realitätsnahe Streitpunkte zugrunde. Am Freitagnachmittag begann die Vorbereitungsphase, in der sich einzelne Gruppen schwerpunktmäßig jeweils mit dem Vogelschutz, dem Schattenwurf auf eine benachbarte Photovoltaik-Anlage und dem Denkmalschutz auseinandersetzten. Dafür nahmen sie die Rolle der Richter*innen, der Kläger*innen oder der Beklagten-Seite ein. Die Teilnehmer*innen arbeiteten – je nach zugeteilter Position – rechtliche Argumente für oder gegen die erteilte Genehmigung zum Bau der Windenergieanlage heraus. Die verteilten Akten enthielten die Erläuterung der Rechtslage sowie einige Ausschnitte aus Urteilen von Gerichten in ähnlichen Fallkonstellationen. Daraus ergaben sich zum Teil komplexe rechtliche Probleme: So waren in den Streitpunkten mögliche Grundrechtseingriffe, aber auch die Frage nach der Kompatibilität mit europarechtlichen Vorgaben angelegt. Am Samstagmorgen unterstütze Verwaltungsrichter Thius Vogel insbesondere die Richter*innen-Teams, um ihnen die Gestaltung der Verhandlung zu erleichtern. Das Team Recht, bestehend aus Mitarbeiter*innen des Lehrstuhls von Frau Prof. Dr. Schwerdtfeger, half der Beklagten-Seite und den Kläger*innen bei der Vorbereitung. Im Anschluss an das Mittagessen wurde es für die Teilnehmenden ernst: Über 90 Minuten wurde im Gerichtslabor der Universität Göttingen verhandelt. Dabei wurden die drei Verfahren jeweils von anderen Teams präsentiert. Zunächst beschäftigte sich das Gericht mit mehreren Schwarzstorch-Paaren, die in der Nähe des geplanten Bauortes ihre Brutstätten haben und durch die Windenergieanlage gefährdet sein könnten. Im Streitpunkt „Schattenwurf“ standen die Richter*innen vor der herausfordernden Frage, wie zwischen dem Potential verschiedener Erneuerbarer Energien abgewogen werden kann. Schließlich blieb noch offen, inwiefern die Sicht auf ein hochgelegenes Denkmal durch die Windkraftanlage erheblich behindert werden könnte. In dieser Sache erschien es besonders schwierig, eine tatsächliche Beeinträchtigung des Denkmals und einen Verstoß gegen den Denkmalschutz darzustellen. Die Verhandlung wurde nach umfassender Befragung der Prozessparteien mit der Ankündigung geschlossen, dass sich die Richter*innen nun zur Beratung zurückziehen. Alle Anwesenden warteten gespannt auf die Urteilsverkündung. Wenig später wurde deutlich, dass dem Bau der Windenergieanalgen laut Richter*innen-Teams keine überzeugenden rechtlichen Belange gegenüberstanden: Die Klagen wurden vollumfänglich abgewiesen; so lautete die Entscheidung, die mit der Unterstützung von Herrn Thius Vogel getroffen wurde.

Die Gerichtsverhandlung war davon geprägt, dass alle Teilnehmenden tief in ihre jeweiligen Rollen eintauchten. Eine Herausforderung bestand darin, dass die zugeteilte Position nicht zwangsläufig der eigenen Meinung entsprach. Doch gerade hierdurch war es möglich, das Verständnis und die Nachvollziehbarkeit anderer Perspektiven zu steigern, wie sich auch aus der Reflexionsrunde ergab: „Letztendlich haben wir bemerkt, dass jede Position auch irgendwo ihre Berechtigung hat.“, schilderte ein Teilnehmer.

Insgesamt blieb bei den Teilnehmenden nach der Verkündung des Urteils das Bedürfnis nach einer Kompromissfindung zurück. Von den Beteiligten wurde darauf verwiesen, dass sie sich Möglichkeiten gewünscht hätten, die die Kläger*innen zumindest finanziell entlastet hätten, auch wenn das Urteil allgemein als rechtmäßig empfunden wurde. An dieser Stelle offenbarte sich damit eine bestehende Diskrepanz zwischen dem Gerechtigkeitsempfinden und der tatsächlichen Rechtslage. Darüber hinaus wurde hervorgehoben, dass den Gerichten in ihrer Entscheidungsfindung bei der Klimawende mitunter eine Leitfunktion zukommen könne, weil Gerichte sich vielfach an bereits bestehenden Urteilen orientieren.

Das Urteil folgte auf einen Abwägungsprozess, stellte aber keine unmittelbar zwischen den Prozessparteien verhandelte Einigung dar. Die Teilnehmenden erklärten deswegen, dass es wünschenswert sei, im Vorhinein Mediationsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass ein nur unzureichender Informationsfluss in die breite Bevölkerung bestehen würde. Diskutiert wurden daher die Einführung von Bürger*innenräten im Genehmigungsverfahren und mehr Präsenz der Sachlagen in den sozialen Medien und bei gezielten Informationsveranstaltungen. Nach Ansicht der Teilnehmenden könnten komplexe Verfahren damit zugänglicher und für die Allgemeinheit verständlicher gestaltet werden. Nicht zuletzt, weil in Bezug auf den Ausbau Erneuerbarer Energien oftmals verschiedene und differenziert zu betrachtende Ansichten kollidieren und zeitgleich mitunter auf eine uneindeutige Rechtslage treffen. Schlussendlich ergab sich hieraus, dass auch die rechtliche Seite der Energiewende verstärkt aus den Gerichtssälen in die Zivilgesellschaft transportiert werden sollte.